Berlin/ Konzerthaus: Hommage an ARVO PÄRT, 19.05.215
Es ist ein „Gastgeschenk“ besonderer und besonders ergreifender Art: Toomas Hendrik Ilves, Präsident der Republik Estland, bringt anlässlich seines Staatsbesuchs in Berlin den größten Komponisten seines Landes mit: Arvo Pärt. Außerdem diejenigen, die mit seiner Musik am besten vertraut sind: den Estnischen Philharmonischen Kammerchor und das Kammerorchester Tallinn unter der Leitung von Tönu Kaljuste.

 

„Hommage an Arvo Pärt zum 80. Geburtstag des Komponisten“ so der Titel, an dem vier seiner bedeutendsten, weltweit bekannten Werke im Konzerthaus Berlin zu hören sind: Salve Regina, Adam’s Lament, Cantus in memoriam Benjamin Britten und Te Deum.
Arvo Pärt, geboren 1935, war zunächst der radikalste Vertreter der sowjetischen Avantgarde. 1968 überführte er mit seinem „Credo in Jesum Christum“ Bachs 1. Präludium aus dem „Wohltemperierten Klavier“ in die Zwölftonmusik. Die empörten sowjetischen Kulturverantwortlichen untersagten weitere Aufführungen. Auch Pärts religiöse Haltung erregte ihr Missfallen.
Pärt beantwortete diese Zensur mit jahrelangem, fast totalem musikalischem Schweigen. Doch gerade diese selbst auferlegte Zwangspause wurde für ihn zu einer Phase der Besinnung und mündete in die Entdeckung einer neuen Einfachheit.
Inspiriert von der Gregorianik fand er seinen eigenen Stil, den der bei den Sowjets in Ungnade Gefallene nach rd. einjährigem Aufenthalt in Wien vor allem in Berlin entwickelte, wo er 30 Jahre zu Hause war.

 

Im provisorischen Arvo Pärt Centre in Laulasmaa (Estland) ist sein Berliner Wohnzimmermobiliar mitsamt dem Harmonium zu sehen, das er bei der Rückkehr in die Heimat mitgenommen hatte. Dieses Archiv, 2010 von ihm und seiner Familie gegründet, platzt aus allen Nähten. 2018, dem 100. Geburtstag Estlands, soll nahebei der neue Bau fertig gestellt sein.
Pärt setzt nach seinem Motto, dass man mit einem Ton die Unendlichkeit erreichen könnte, auf Schlichtheit und die Fortführung jahrhunderte alter Musiktraditionen. Oft bildet ein einziger Dur- oder Mollakkord die Basis einer Komposition. Ganze Abschnitte entwickeln  sich aus einem Dreiklang.

 

Doch was so bescheiden wie Pärt selbst daherkommt und Ohren und Seele wohl tut (!), ist – genau so unaufdringlich wie bei Johann Sebastian Bach – nach festen Regeln komponiert, wobei Glockenklang stets eine Rolle spielt. Sein akribisches Vorgehen zeigt ein Notenblatt (Kopie) im Arvo Pärt Centre in Laulasmaa.
Ab 1976 entwickelte Pärt seinen „Tintinnabuli-Stil“ (Glöckchen-Stil), oft mit nur ein oder zwei Stimmen, die sich fortschreitend umkreisen. Auch der Klang von Estlands Wäldern und der Ostseewellen scheinen am Tonbild mitzuwirken. Problemlösungen für die Zuhörer bietet Pärt in seinen in der Regel tiefreligiösen Werken nicht an. Aber Trost und Hoffnung.
Es ist eine Musik, die zum Nachdenken veranlasst und Konzentration erfordert. Erstaunlicherweise gelingt das sogar im hektischen, eher unfrommen Berlin. Im Verlauf des rd. 90-minütigen Abends wird das Publikum spürbar aufmerksamer, wagt kaum noch zu husten. Schon das erste Werk, das „Salve Regina“ für gemischten Chor, Celesta und Streichorchester (2001/2011), um das Pärt offensichtlich lange gerungen hat und das mit einem leisen, sehr hohen Ton endet, hat den Weg aufgezeigt.
Das folgende  Adam’s Lament” für gemischten Chor und Streichorchester (2010) hatte ich vor wenigen Tagen in Tallinns Noblessner Werft gehört, als Teil der Welturaufführung von „Adam’s Passion“,  in Szene gesetzt von Robert Wilson. Wie sehr mich jedoch diese „Bebilderung“ von der wunderbaren Musik abgelenkt hat, bemerke ich erst jetzt.
Die Klage Adams nach dem Ausstoß aus dem Paradies geht nun viel tiefer unter die Haut, zumal dieser Ur-Mensch nicht die verlorenen Freuden beweint, sondern seine Sünde, mit der er seinen geliebten Gott enttäuscht hat. In diesen Momenten sinken Stimme und Instrumente in tiefere Regionen. Als Adam erfährt, dass sein Sohn Kain den Abel erschlagen hat, schärft sich die Musik zu. Adam ahnt nun, wie sich die Völker demnächst morden werden.
Mit dem „Cantus in memoriam Benjamin Britten” für Streichorchester und Glocke von 1977/1980 ist Pärt international bekannt geworden. Anders als bei den übrigen Stücken des Abends wogen die Streicher unter Führung der Contrabässe hin und her, als simulierten sie den Fluss des Lebens. Der hier besonders auffällige Glockenklang läutet den Tod des englischen Komponisten ein.
Zuletzt das ausführliche „Te Deum“ für drei Chöre, Streichorchester, präpariertes Klavier und Tonband (Windharfe), an dem Pärt von 1985-1992 gearbeitet hat. Das Ergebnis des Mühens kündet von Demut. Nicht mit brausender Gewissheit wie bei anderen  Komponisten kommt Pärts Hymne an die Dreifaltigkeit daher. Auch hier nötigt er niemanden den Glauben auf, lässt Raum für die Suche und beendet das Stück unerwartet leise. Die Instrumentalisten und der dreigeteilte Chor – mit hoher Aufmerksamkeit von Tõnu Kaljuste geleitet – geben nochmals ihr Bestes.
Nach kurzem Erstaunen über diesen unspektakulären Schluss bricht der Jubel aus und mündet im ausverkauften Haus in standing ovations, als Arvo Pärt auf die Bühne gerufen wird. „Ich bin sehr bewegt,“ sagt er später beim Empfang. Er hat auch die Zuhörer – inklusive des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck – spürbar bewegt.