Immer wieder gibt es im Baltikum neue, interessante Namen zu entdecken. Die 1962 in der Ukraine geborene, aber seit fast einem Vierteljahrhundert in Estland lebende Komponistin Galina Grigorjewa ist in ihrer Wahlheimat bereits mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht worden und gewinnt mehr und mehr auch Anerkennung auf dem internationalen Parkett. Sie erhielt ihre kompositorische Ausbildung u.a. bei Jurij Falik am St. Petersburger Konservatorium sowie beim renommierten estnischen Komponisten Lepo Sumera.
Grigorjewas Musiksprache wurzelt deutlich in der Tradition altrussischer Kirchen- und Volksmusik. Vielleicht rührt daher auch ihre Vorliebe für den Chor – sie beherrscht dieses Genre mit absoluter Meisterschaft. Bereits im ersten Werk der CD, der 1997/2004 entstandenen Suite Svjatki, beweist sie ein außerordentliches Gespür für das Chorensemble. Häufig stehen religiöse Themen bzw. Texte im Zentrum ihrer Werke. So etwa in ihrem Salve Regina für Vokal- und Streichquartett, dem Diptychon für Männerchor oder In paradisum für gemischten Chor. Das einzige rein instrumentale Stück der CD ist das im Jahr 2000 komponierte Lament für Blockflöte solo, ein beeindruckendes Werk von großer Ruhe und Kraft. Die raumfüllenden Klänge der Flöte korrespondieren mit dem improvisatorischen Gestus der Komposition, in die auch kontrastierende, erregte Episoden mit Atemgeräuschen, Vorschlägen und Glissandi verwoben sind. Das vielleicht herausragendste Stück des Programms, das 2008 komponierte ChorwerkNature morte (Stilleben) nach Worten Iossif Brodskijs, stand zugleich auch Pate für den Titel der CD. Im dramatischen ersten Satz dieses Triptychons schafft die Komponistin eine ganz eigentümliche Klangatmosphäre unter Einbeziehung von Murmeln, Flüstern, dissonanten Akkordballungen und Clustern. Dagegen wirkt der zweite Satz in seiner lyrischen Statik fast zurückgenommen. Der sphärische dritte Satz beendet das Werk nach einer großartigen Schlußsteigerung mit einem ruhigen Ausklang.
Was mich sofort für Grigorjewas Musik eingenommen hat, war allein schon die rein handwerkliche Meisterschaft, vor allem aber die Glaubwürdigkeit ihrer Musik. Diese Musik hat es mit ihrer starken spirituellen Aussage nicht nötig, nach „modernen“ Allgemeinplätzen zu schielen, und auch wenn die Komponistin zu zeitgenössischen Techniken greift, stehen sie stets hörbar im Dienste des Ausdrucks. Musik, die unmittelbar berührt, ja bewegt.
Umso schöner ist es, dass für diese Portrait-CD verschiedene glückliche Umstände zusammengekommen sind. Zum einen die hervorragenden Interpreten, die sämtlich auf höchstem Niveau musizieren, allen voran der phänomenale Estnische Philharmonische Kammerchor unter Paul Hillier; zum anderen aber auch die beeindruckende Akustik der uralten Tallinner Nikolai-Kirche und mit Ondine nicht zuletzt auch ein Label von internationalem Rang.
Dieser wunderbaren Aufnahme möchte man eine weite Verbreitung wünschen. Galina Grigorjewa ist ohne Zweifel ein Name, den man sich merken sollte.
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