Bob Wilson ist ein großartiger Bildmagier. Die von ihm weltweit eingehegten Tummelplätze sind von Kennern als wie Liebhabern der Kunst und des Theaters frei begehbar; seine Fangemeinde zählt vielleicht zu den beständigsten und treuesten, die sich ein Guru dieser Art nur wünschen kann. Die Bob’schen Kreationen haben eine unverwechselbare und wohl nur mit seiner Kunstauffassung resp. seinem Kunstverstand einhergehende “Handschrift” – überall, wo man ihnen gelegentlich begegnet, weiß man gleich-sofort, was einem ungefähr dann blühen wird; da reichen schon die ersten paar Sekunden also noch bevor dann überhaupt etwas geschieht (sofern dann überhaupt, falls irgendwie, etwas geschieht). Es sind Performances, fast ausschließlich zum Hingucken bestimmt, und ihr ästhetisierendes Gefasziniertsein lässt sich auch nicht ohne Weiteres bestimmen und/oder erklären – meistens sieht das Alles, was er da so fabriziert, sehr schön aus und beruhigt unsere Augen ungemein.
Vor ungefähr drei Jahren hatte er sich mit dem Komponisten Arvo Pärt – gewisslich auch so einem Meister der Entschleunigung – auf ein Musiktheater konzeptionell verständigt, das als Adam’s Passion in Tallinn uraufgeführt wurde. Es kommentiert oder bebildert vier in sich geschloss’ne Werke des berühmten Esten [Titel s.u.] und fand nunmehr für drei Exklusiv-Darbietungen auch in Berlin, im hiesigen Konzerthaus am Gendarmenmarkt, seine mit großem Aufwand nachgebaute Bühne:
Vom in Schwarz verhangenen und eingekasteten Orchesterpodium führt ein gleichhöhiger Laufsteg bis zur Hälfte des Parketts, die musikalisch Ausführenden (SolistInnen, der Estnische Philharmonische Kammerchor sowie das Konzerthausorchester Berlin unter der Leitung von Tõnu Kaljuste) beanspruchen total den Mittelrang des Hauses. Und es klingt demnach quasi “von hinten”, während vorn und bis zur Mitte Szenisches abläuft.
Der griechische Tänzer und Performer Michalis Theophanous, der den splitternackten Adam gibt, bündelt ganz unvermeidlich die geschätzteste und sinnlich-sinnstiftendste Aufmerksamkeit aller Aufmerksamkeiten auf sich; er muss bloß immer und in Zeitlupe vor und zurück gehen oder sich megalangsam drehen. Seine körperliche Schönheit ist von skulpturaler Unvergesslichkeit!
Ein bisschen später tut sich ebenso die legendäre Tanz-Ikone Lucinda Childs – die von Bob ganz wichtigtuerisch als Frau gecastet wurde – armausstreckend und in gleicher Tempolage (wie ihr männigliches Gegenüber) hin und wieder sehen.
Und noch weitere Gestalten machen sich im alttestamentarischen Zusammenhang szenisch bemerkbar.
Alles das erfolgt quasi über den Wolken, denn dezent ausströmender Theaternebel scheint die Assoziation in diese Richtung irgendwie perfekt und glaubhaft zu bekräftigen.
Bei den vier dargebotenen Musikstücken beeindruckten zum Beispiel Sayako Kusaka und Johannes Jahnel, die zwei Violin-Solisten von Tabula rasa, Pärt’s genialem Doppelkonzert aus dem Jahre 1977.
https://www.freitag.de/autoren/andre-sokolowski/adams-passion-von-robert-wilson-arvo-paert