„Es ist selten, dass man auf jemanden trifft, der die Stille komponiert.“, sagte Robert Wilson anläßlich der Premiere von „Adam´s Passion“ 2015 in Tallinn. Wilson kennt die Musik von Pärt seit den frühen achtziger Jahren und schätzt an dessen Kompositionen vor allem den „geistigen Raum, den sie schaffen – einen Raum ungeheurer Freiheit.“ Beide begegneten sich im November 2009 während einer Audienz bei Papst Benedikt XVI., zu der in der Sixtinischen Kapelle auch Werke von Pärt aufgeführt wurden. Damals entstand die Idee einer Zusammenarbeit, die schließlich zu „Adam´s Passion“ führte. Das Werk besteht aus der Wilson gewidmeten „Sequentia“ von 2014, „Adam´s Lament“ nach einem Text des Heiligen Siluan von Athos von 2010, dem Pärt-Klassiker „Tabula rasa“ von 1977 sowie dem „Miserere“ nach dem 50. Psalm von 1989.
Die deutsche Erstaufführung war ein nachträglicher Höhepunkt des „Festivals Baltikum“, mit dem der Intendant des Konzerthauses Berlin, Sebastian Nordmann, und sein Chefdirigent Iván Fischer, in diesem Frühjahr Komponisten, Orchester und Solisten aus Estland, Lettland und Litauen vorstellten. Wilson hat für diese Berliner Fassung eine Guckkastenbühne mit blauer Opera ins Konzerthaus gebaut, von der ein Steg bis in die Mitte des Zuschauerraums führt. Das Konzerthausorchester und der Estnische Philharmonische Kammerchor unter Leitung von Tonu Kaljuste sitzen im 1. Rang, was der Akustik des Abends keinen Abbruch tut. Im Gegenteil : es ist, als würde die Musik in Klangkaskaden aus dem Konzerthaus-Himmel ins Parkett strömen. Für das Orchester und die Solisten ist diese Aufführung eine gewagte musikalische Herausforderung.
Während der Ouvertüre von „Sequentia“ setzt Wilson ganz auf die Komposition und läßt lediglich einen horizontalen Lichtstrahl auf der Opera in die Vertikale wandern. Der führt zu „Adam´s Lament“, in dem Michalis Theophanous als
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nackter Adam aus einem Nebelmeer aufsteigt, sich langsam ins Licht dreht und in Zeitlupe auf den Steg zugeht, an dessen Ende ein erleuchteter Zweig liegt. Wenn der griechische Tänzer ihn erreicht hat und sich den Zweig auf den Kopf setzt, beginnt „Tabula rasa“ und damit Adams Passion.
Hochkonzentriert schreitet Theophanous den langen Weg zurück und im Moment seiner Umkehr betritt Lucinda Childs die Bühne. Die New Yorker Choreographin, die seit 1976 mit Wilson zusammenarbeitet, erscheint als Frau in weißem Kleid und grüßt Adam mit knappen, präzis geführten Gesten. Es sind archaische, beinah sakrale Bilder, die Wilson für diese Kompositionen geschaffen hat : ein Baum mit verdorrter Krone, der wie ein schwarzer Blitz aus dem Himmel stürzt, ein Kind, das einen leuchtenden Ziegel auf dem Kopf balancierend vom Steg zur Bühne trägt, die Himmels-Leiter, die der inzwischen bekleidete Adam zum „Miserere“ auf die Bühne bringt. Einmal lässt Wilson die Opera fallen und zeigt hinter dem Scheinwerfergitter die Orgel des Konzert-hauses – ein Moment der Entzauberung und der Verfremdung zugleich. Hinter der Apokalypse aus blendendem Licht leuchtet die Erinnerung an andere verlorene Paradiese auf. Am Ende tritt zu den Schlußakkorden des „Dies irae“ eine Gruppe schwarzgewandeter Pilger mit Zweigen auf die Bühne. Adams Passion ist zum Leidensweg der Menschheit geworden, aber die Frau in Weiß hält ein leuchtendes Glas ins Licht.
„Robert Wilson hat ein absolutes Wunder vollbracht.“, sagte Arvo Pärt 2015 vor der Uraufführung. Das Wunder dieses Abends besteht aus den Bildern und Klängen der Stille, die sich hier begegnen, und aus dem großartigen Orchester, dem Chor, den Solisten und Darstellern, die sie zum Klingen bringen. Die Begegnung von Arvo Pärt und Robert Wilson ist ein Glücksfall und man wünscht dem Berliner Publikum und dem Konzerthaus mehr solcher Begegnungen, die moderne Musik und hochkarätige Performancekunst zusammenbringen. Begeisterter Schlussapplaus und ein glückliches Ensemble am Ende dieses eindrucksvollen Abends.
Holger Teschke
Der Mitschnitt der Tallinner Uraufführung ist inzwischen auch als DVD bei Accentus Music erschienen : www.accentus.com